Von Minen und Mining
Wie die Choreografin, Tänzerin und bildenden Künstlerin Sara Lanner in ihren (postdigitalen) Performances das Reale des Virtuellen aufführt
Christa Benzer, 2023
Es sind die strukturellen Elemente und die Logik des Digitalen, die Sara Lanner in einer Reihe jüngster Performances mit der Realität des Körpers zusammenführt: Tanz und Extraktivismus, Bewegung und Blockchain, Materialität und Transmedialität, Sprache und Bugs, der Körper im Hier und Jetzt und die zunehmende „Datafizierung“, die sehr reale Auswirkungen auf die Körper und den Planeten hat.
Neben dem mining nach monetär verwertbaren, digitalen Daten war das Graben in den Schichten der individuellen und kulturellen Identität grundlegend für Lanners fortlaufende tanztheoretische wie choreografische Beschäftigung mit den Bedeutungen des Begriffs, wobei für die Aufführungen und Performances It’s in Your Mine, MINE (2021) und Mining Minds (2021) auch der Film Western Deep von Steve McQueen ein wichtiger Bezugspunkt war: Er führt die Betrachter_innen in eine der tiefsten Goldminen der Welt nahe Johannesburg, wo man die Bergleute unmenschlicher Hitze, Druck und Enge ausgesetzt hat.
Diese brutale, ausbeuterische Seite von mining greift Sara Lanner in den Scores ihrer Choreographien auf: Heart Shake hat die interdisziplinär arbeitende, ausgebildete Tänzerin, Choreografin und Künstlerin etwa ihre Aufzeichnungen für Bewegungsanleitungen genannt – neben anderen wie Contained Implosions oder Melting Images: Während erstere ihr selbst und den Co-Performer_innen als Anhaltspunkt für den Ausdruck von teils innerlich bleibender Erschütterung dient, ist der Name Melting Images auch der choreografischen Praxis geschuldet, mit der Lanner ihre Performances erarbeitet: Im Falle von MINE, mit dem sie 2021 den H13 Niederoesterreich Preis für Performance gewann, waren es neben Bildern zum Thema Bergbau auch Recherchen zu Sprengtechniken im Untertagebau, die ihr und ihrem Co-Performer als Grundlage für „Verkörperungen“ dienten: Bild für Bild, Position für Position werden von ihnen dabei erarbeitet, miteinander verschmolzen und über Kräfteverlagerungen, gegenseitiges Ziehen, Drücken und Eruptieren, aber auch Kämpfen, Auffangen oder über Requisiten wie Kupferdrähte Interagieren zum Ausdruck gebracht.
Charakteristisch für ihre Bühnenbilder, Bewegungsabläufe und Interaktionen sind zudem Materialien mit unterschiedlichsten Formen, Qualitäten und Oberflächen: Dazu gehören raschelnde Metallfolien genauso wie Faltkartons, Kupferdrähte oder auch Materialassemblagen aus selbst „geminten“ Schaltflächen oder seltenen Erden, die Lanner unter anderem aus ihrem Mobiltelefon extrahiert.
In Zusammenhang mit diesem betont bildkünstlerischen, ja bildhauerischen Zugang stehen ihre Material Studies (2015–), in denen sie die materiellen Qualitäten, wie die Bieg- oder Anpassbarkeit, aber auch Volumen und Maße von skulpturalen Objekten, wie den für ihren Körper gerade noch handlebaren Holz-Dreiecken in As Of Now (2021) oder dem übergroßen Karton-Faltblatt in Material Studies 3 (2020) erprobt. Während sie das vielschichtige Interaktionspotential des aus der Fanzine-Kultur stammenden Faltobjekts in einem Solo aufzeigt, stellt sie in einem Duo über Kupferdrähte Verbindungen zu ihrem Tanzpartner her und immer wieder wird über Objekte auch das Publikum involviert: Im Fall von Guess What (2018) im brut faltet sie mit von ihr aufgeforderten Personen Stoffbahnen aus, die wie digitale „Liquid Crystals“ durch den Raum fließen; oder sie bittet das Publikum um Hilfe beim Bühnenumbau.
Sprache wird von ihr spärlich, und wenn sehr experimentell eingesetzt: so ergibt sich eine Art analoge De-Synchronisierung, ein Bug, wenn sie ihren Mund zwar wie beim Sprechen bewegt, diesem aber nur abgebrochene Laute entkommen. Diese identitätsbildenden bzw. -zersetzenden Aspekte der Sprache sind auch Thema von Mother Tongue (2020): einer Performance, in der sie unter Einsatz des ganzen Körpers zwei Stunden lang mit der Zunge das Wort „Muttersprache“ an die Wand schreibt.
Ihr Interesse am politisch markierten, sich seiner selbst bewussten Körper in Zeiten von Social Media und algorithmisch forcierter Diskriminierung war wie das Experiment mit der offenen Form schon früh in ihren Performances angelegt: Unter dem Titel A Living Example, Skizze stellte sie sich 2015 in der Reihe Tendances in die Mitte des Kunstraums mo.ë Vienna, wo sie sich unter anderem als „lebendes Beispiel“ für eine weiße, mitteleuropäische, bilingual aufgewachsene Frau ohne Visa-Probleme definierte. In einer immer furioser werdenden Aneinanderreihung wendet sie die Zuschreibungen zusehends ins Absurde, um anschließend zu verkünden, dass die Performance (noch) kein Ende hat.